> Vorgeschichte des Flüchtlingsapostolats bis 1950

Vorgeschichte des Flüchtlingsapostolats bis 1950

Aus: Am Schönstattquell 1950, S. 110 ff.

Mit vollem Recht pflegen wir den ersten Vortrag, der im kleinen Schönstatt-Heiligtum am 18. Oktober 1914 gehalten worden ist, als Gründungsurkunde zu bezeichnen. Was später wurde, ist keimhaft in ihr enthalten. Wer sie liest, spürt in jedem Worte die göttliche Vorsehung am Werk, um der Krankheit unserer Zeit ein Heilmittel zu bereiten. Wenn nichts anderes ausgesprochen wäre als der Satz: Nach dem Plane der göttlichen Vorsehung soll der große europäische Krieg für euch ein außerordentlich förderndes Hilfsmittel sein für das Werk eurer Selbstheiligung, so wäre es wert, jener Stunde zu gedenken. Das Ringen um Selbstheiligung aber soll nach der Gründungsurkunde als ständiger Erweis der Liebe die Gottesmutter bewegen, im Heiligtum von Schönstatt ihren Thron aufzuschlagen, ihre Schätze auszuteilen und Wunder der Gnade zu wirken. Gott allein weiß, wie vieler Menschen Alltag dadurch seit 1914 sinn, wert und kraftvoll geworden ist. Auch das ausweglose Leid unserer Zeit erfährt dadurch Linderung und wird erfaßt als Ruf der ewigen Liebe.

Das erlebten wir besonders eindrucksvoll, als im Juli 1947 zum erstenmal eine Arbeits und Exerzitienwoche für unsere „Heimatlosen“ gehalten wurde. Es ist nicht leicht, ihrer Not gerecht zu werden. Sie zählt sicher zum Furchtbarsten, was uns der Krieg gebracht hat. Am schmerzlichsten ist, daß sie mit menschlichen Mitteln gar nicht zu beheben ist. Selbst die aufopferndste Liebe kann nur tragen helfen, nicht aber heilen. Viele von den Teilnehmern der Woche hatten Schönstatt bisher kaum nennen hören oder wußten doch nicht, um was es hier eigentlich geht. Gezeichnet vom Verlust vieler Güter, von Sorge und Not, erlebten sie nun Schönstatt als Gnadenort, der ihnen Heimat und eine Fülle übernatürlicher Schätze bietet. Vielleicht können einige Briefstellen besser als alles andere zeigen, was diese Tage auslösten: Schon einige Wochen sind verflossen, da wir von unserer Mutter in Schönstatt Abschied genommen. Unvergeßlich bleiben uns diese Tage. Wir fühlten wieder so recht, was es heißt, noch eine Heimat zu haben! Hart liegt das Wort vor uns – heimatlos! Aber wir wollen nun tapfer durchs Leben gehen, da wir ja unter dem Schutze der Gottesmutter stehen.Die letzten Stunden des Jahres 1947 gehen dahin. Voller Dankbarkeit und Glück kann ich Rückschau halten. Wie viele Gnadenschätze schenkte mir der liebe Vater im Himmel dieses Jahr! Das Gnadenreichste von allem aber ist Schönstatt, das Heiligtum unserer Dreimal wunderbaren Mutter und Königin. Wir werden es wohl erst in der Ewigkeit richtig erkennen ... Ich bin, seit ich unter dem Schutze und Banner unserer Mutter lebe, ein ganz anderer Mensch.

Damals entstand das „Flüchtlingsapostolat Schönstatts“, die Gebets und Opfergemeinschaft für die Brüder und Schwestern aus der östlichen Heimat. Sie entsprang dem Wunsche, das tiefe Erleben am Gnadenort fortleben zu lassen und möglichst vielen zugänglich zu machen. Es sollte jeder zu der Gemeinschaft gehören können, der versprach, sein Alltagsleben im Sinne des Gnadenkapitals in opferstarker Liebe in die Hände der Dreimal wunderbaren Mutter und Königin von Schönstatt zu legen, damit es fruchtbar werde für die religiössittliche Erneuerung der Welt. Um ein zusammenschließendes Band zu haben, einigten wir uns darauf, den Engel des Herrn jeweils um 12 Uhr mit und füreinander zu beten und zum Schluß des Segens zu gedenken, den unsere Flüchtlingspriester an den verschiedenen Orten allen spenden. Das ist ein Zeichen des gegenseitigen Gedenkens und Verbundenseins, das viel bedeuten kann. Am Morgen und Abend sollte ein ähnliches Gedenken das Gemeinschaftsbewußtsein lebendig erhalten. Die Anregungen wurden in einem Rundbrief zusammengefaßt, den die Kursteilnehmerinnen mitnehmen konnten.

Das Echo, das dieser erste Brief weckte – er hat inzwischen in Tausenden von Exemplaren weite Verbreitung gefunden –, war überaus beglückend, vor allem deshalb, weil er bewies, daß Schönstatt wirklich eine Antwort ist, die Gott auf das vielfältige „Warum“ gibt, das in den Herzen der Besten so viel Unheil anrichten kann. Wieder mögen einige Briefausschnitte zum Belege dienen: Ich vermag es mit Worten gar nicht zu beschreiben, welch ein beglückendes Gefühl es ist, daß sich dadurch (durch die Gebets und Opfergemeinschaft der Heimatlosen) unsere lieben Landsleute wieder zusammenfinden und ihre Opfer und Gebete der Mutter schenken und so bei der Christusgestaltung der Welt durch unsere liebe Mater ter admirabilis mitwirken können.Ich bin gerne bereit, in dieser ... Gemeinschaft eifrig mitzubeten. Sie stellt ja die Verbundenheit unserer Brüder und Schwestern dar und läßt somit die schöne Gemeinschaft der Heimat nicht vergessen.Nun weiß ich, so oft es 12 Uhr ist, und wenn der Tag zur Neige geht, daß jemand für mich und alle anderen Flüchtlinge den Segen spendet ... Geistig sind wir wie ein geschlossener Stromkreis, durch Gott im Gebet verbunden; und unsere liebe Gottesmutter kennt alle unsere Alltagssorgen und nöte.Welche Freude und welchen Trost brachte mir der Inhalt des Julibriefes! ... Sehnend erwarte ich nun täglich mittags und abends mit so vielen Marienkindern den priesterlichen Segen.

Aus vielen Antworten spürt man förmlich das Wirken der dreifachen Gnade, um die wir im Heiligtum zu bitten pflegen. Die Gottesmutter schenkt seelische Beheimatung. So heißt es in einem Brief: Nun dürfen wir uns auf diesem auserlesenen Plätzchen daheim fühlen. Sie erwirkt uns aber auch seelische Umwandlung: Das Liebesbündnis mit der Dreimal wunderbaren Mutter von Schönstatt gibt mir täglich neue Kraft und (neuen) Lebensinhalt. Oft sprechen die Briefe auch vom Sinn der Berufung zum Leid und von der Verantwortung, die daraus erwächst. Die Gottesmutter gibt das Bewußtsein persönlicher Sendung und seelischer Fruchtbarkeit.

Im Juli 1947 wurde auch beschlossen, den 18. eines jeden Monats als Tag der Erneuerung des Liebesbündnisses besonders zu begehen; „Bündnistag“ und „geistige Wallfahrt“ zum Schönstattheiligtum hatten damit eine klare Form gefunden und haben sich seither gut eingeführt. Nach jedem Bündnistag kommen Berichte, die davon erzählen. Wir haben hier jeden Sonntag nach dem 18. in der Kirche eine Betstunde und versetzen uns geistigerweise ins kleine Heiligtum. Zu gleicher Zeit erneuern wir unsere Weihe. Es ist eine Freude, wie alle mitmachen.Zu meiner großen Freude erhielten wir am Freitag Ihren Brief zum 18.10., den ich gleich ... in unserem Heimatabend vorlesen konnte ... Am Samstag in der Feierstunde beteten wir Flüchtlinge das schöne Gebetchen zur Dreimal wunderbaren Mutter und Königin von Schönstatt, das in Ihrem Brief eingefügt ist.Meine Gedanken waren vereint mit denen meiner Mitschwestern und –brüder im Kapellchen bei unserer Mutter und Königin ... Im Geiste knien wir vor Deinem Bilde ... So beteten gewiß viele und ließen ihre Gedanken und Wünsche hineilen zur Gnadenkapelle, um zu schöpfen, aber auch zu schenken.Da der Brief einige Tage vor dem 18.10. angelangt ist, konnte ich mir diesen Tag zu einem kleinen Festtag machen. Nicht mit Braten, – nein, einige stille Stunden habe ich mir gegönnt, in denen ich versucht habe, in die Tiefen des Weihegebetes, das ja so inhaltsreich und alles umfassend ist, einzudringen.Wir sind ... eins und gehören zusammen und bilden eine große Familie ... Im Geiste kommen wir alle nach Schönstatt.

Durch weitere Rundbriefe, die bisher nur unregelmäßig versandt werden konnten, ist die Gemeinschaft gepflegt und erweitert worden. Fast jeder Tag bringt Anmeldungen und Berichte, denen man entnehmen kann, wieviel Licht die Mater ter admirabilis in den dunklen Alltag strahlt. Ich kann es nicht in Worte kleiden, was beim Lesen dieses Briefes die Seele bewegt – ein Stückchen Heimat, Freude, Glaubenskraft und Opfermut für den Flüchtlingsalltag.Habe mit vielem herzlichem Dank die Briefe erhalten und ... verteilt, aber auch Wort für Wort durchgelesen. Nicht nur einmal, nein, immer wieder nimmt man solche Zeilen zur Hand. Der Blick gleitet darüber, um daraus Neues zu schöpfen, denn unser tägliches Leben fordert immer neue Opfer.

Selbstverständlich lassen die Briefe auch manchen Blick tun in das Elend, in dem so viele Menschen leben müssen. In Zusammenarbeit mit dem „Caritasapostolat Schönstatt“ war es bisher möglich, in ziemlich vielen Fällen auch materiell zu helfen, zumal sich Wohltäter aus den Reihen der Schönstattfamilie fanden, die in besonderen Notlagen einsprangen und Hilfe vermittelten.

Für Tausende ist so das Liebesbündnis eine wertvolle Kraft und Lichtquelle geworden. In Kursen und Einkehrtagen in Schönstatt und an vielen anderen Orten, wo sich Gelegenheit dazu bot, wurden und werden immer wieder Menschen eingeführt in die Welt der Liebe, und man erlebt sichtlich, daß die Gottesmutter mitwirkt. Das schlichte Bild der Dreimal wunderbaren Mutter und Königin von Schönstatt schmückt viele Flüchtlingsstuben und ruft immer wieder in den leid und sorgenschweren Alltag hinein: Ich liebe, die mich lieben.

Oft lesen wir von Dankbarkeit, welche die Seelen erfüllt, die im Leid der Zeit am Herzen der Mutter Geborgenheit gefunden haben. Nie kann ich, Mutter, danken Dir genug, – saust es immer durch meinen Kopf, und ich kann es nicht loswerden.So waren wohl heute alle mit unserer Mutter innig verbunden, um Gottes Liebe anzubeten. Was tut es, wenn unser Weg hart ist? Wenn die Liebe Mensch geworden ist, und wenn wir in diese Liebe hineingenommen sind, können wir dann überhaupt etwas anderes als danken?

Müßten wir nicht eifrig mithelfen, daß unsere heimatlosen Brüder und Schwestern Heimat finden in der Liebe der Mutter? Wollen wir nicht wenigstens viel beten und opfern, daß an ihnen sich mehr und mehr verwirklicht, was in einem Brief steht: Sind wir alle noch so zersprengt, soll doch das gemeinsame Beten und Opfern uns aneinander ketten und die Muttergottes von Schönstatt die Hände segnend über uns ausstrecken und unsere Fürsprecherin sein.